Der Realist und der Illusionist

In diesem Dasein kann der eine als Realist angesehen werden und der andere als ein Träumer, der von dieser Welt keine Ahnung hat. Doch wer kann wirklich sagen, wer von den beiden Menschentypen der Realist ist und wer der Träumer? Schließlich ist es denkbar, dass dieses Dasein ein Traum-Dasein ist. Und dafür sprechen in der Tat viele Gründe. Dazu schauen wir uns das Wesen eines Traums an. Ein Traum soll von seinem Wesen her eine vollkommen andere Wirklichkeit vorgaukeln, als die Wirklichkeit des Wach(bewusst)seins. Ferner impliziert (beinhaltet) ein Traum immer das Wachsein, wobei die Wirklichkeit des Wachseins hierarchisch über der Wirklichkeit des Traums ist. Würde der Traum das Wachsein nicht beinhalten, könnte er nicht wieder ausgeträumt werden. Dann wäre der Traum kein Traum. Weil aber ein Traum in seiner Funktion und von seiner Definition her immer ein Traum ist, hat er das Wachsein immer zur Basis, sprich er muss früher oder später in das Wachsein überführt werden. Weil nun ein Traum von seinem Wesen her eine vollkommen andere Wirklichkeit vorgaukeln soll als die Wirklichkeit des Wach(bewusst)seins, muss der Traum dem Träumer (wenigstens zeitweilig, also solange der Traum währt) das Gefühl vermitteln können, seine Traumwirklichkeit wäre real, ohne es wirklich zu sein. Weil aber der Traum das Wach(bewusst)sein zur Basis hat und weil seine vorgegaukelte Wirklichkeit nicht wirklich ist, muss dieses Gefühl naturgemäß immer auch einen gewissen Zweifel in Bezug auf das Wirklichkeits-Empfinden beherbergen. Das Wesen des Traums ist also, dass seine Wirklichkeit niemals in absoluter Weise als real deklariert und empfunden werden kann und dass er daher immer irgendwelche Zweifel und Widersprüche in Bezug auf sein Wirklichkeits-Empfinden hinterlassen muss. Aus genannten Gründen beinhaltet der Traum naturgemäß widersprüchliche Worte (Sprechblasen) in etwa wie folgt:

  • Es ist so und nicht anders; oder doch anders?
  • Ich sehe klar und bin wach. Und etwas später: Ich glaub, ich träume! Oder:  Das kann doch nicht wahr sein!
  • Ich bin mir absolut sicher. Und ein andermal: Ich verstehe die Welt nicht mehr!

Der Inhalt dieser Worte ist zudem vieldeutig, aber alles andere als klar und verständlich: also nebulös. Wir reden aneinander vorbei und glauben dennoch, einander zu verstehen. Der Glaube, dass wir uns verstehen, erweist sich spätestens dann als trügerisch, wenn wir haben erkennen müssen, dass wir uns (im anderen) getäuscht haben. Gestern waren wir noch sicher mit unserem Weltbild; heute sind wir es nicht mehr.

Unser Gedächtnis ist ein Kurzzeitgedächtnis, das uns die vielen Täuschungen und Enttäuschungen all zu leicht vergessen lässt. Dieses unterliegt einem nicht wirklich nachvollziehbaren Leben-Tod-Zyklus, weil es fast willkürlich sterben (beim körperlichen Einschlafen) und doch plötzlich wieder aufleben kann (beim körperlichen Erwachen). Es lässt sich weder wirklich halten noch wirklich auslöschen; wie das, was es registriert. Ein Wunder, dass wir unser nachlassendes Gedächtnis immer wieder neu ins Leben rufen können. Muss es daher nicht etwas in uns geben, das real vorhanden ist und nicht wirklich sterben kann wie etwa das wirkliche Wach-Gedächtnis, welches die Basis unseres Denkens ist?

Die Äußerungen, dass wir träumen, und die Offensichtlichkeit, dass ein Traum aller Realität entbehrt und von Natur aus nicht haltbar sowie nicht absolut zu verstehen ist, müssten uns schon ein wenig stutzig machen. Oder sind wir so abgestumpft, dass wir das Offensichtliche nicht erkennen können? Es wäre in der Tat verwunderlich, wenn Vergänglichkeit, Verweslichkeit, Unhaltbarkeit, Täuschungen und Traum nicht zusammenpassen würden.

Könnte in einem wirklichen Wach-Sein (damit ist nicht das körperliche Wachsein gemeint sondern das geistige Wachsein), in dem alles rein, klar und haltbar ist, jemandem in den Sinn kommen, dass etwas nicht wahr sei oder dass er träume?

Wir können nicht abstreiten, die materielle Welt bestünde aus keinen (Seifen-)Blasen, zumal die Elektronen die Atomkerne umwirbeln und die materielle Substanz künstlich aufblähen, um quasi ein Volumen (eine Größe) vorzugaukeln, die diese materielle Substanz nicht wirklich hat. Auch hat, wenn wir ehrlich sind, in dieser Welt noch nie jemand etwas gefunden, das sich letztendlich als wirklich haltbar gezeigt hätte. Warum sollte dies hier in der Zukunft anders sein können? Und doch maßen wir uns an, auserwählt zu sein, hier etwas Haltbares finden zu können. Bleibt nicht stattdessen zu ergründen, wer diese künstlichen Blasen überhaupt aufblähen ließ?

Wir sind es selber, die träumen und die Illusionen als Blendwerk mitgeschaffen haben, um die wahre Realität nicht (mehr) sehen zu können, wenngleich wir diese erahnen können (müssen). Willst du nicht endlich mal aufwachen (damit ist geistig erwachen gemeint), um zu sehen, wie der Seifenbläser und Luftschloss-Bauer in seiner realen Substanz aussieht?

Kommen wir nun wieder zum Realisten und zum Illusionisten zurück. Gesetzt den Fall, dieses Dasein ist jetzt tatsächlich ein Traumdasein. Wie ist es dann um den Realisten und um den Illusionisten bestellt? Derjenige, der einen Traum träumt, aber der Meinung ist, dass er nicht träumt, muss denken, ein anderer, welcher den Traum berechtigterweise als Traum ansieht und daher eine andere Lebenseinstellung haben muss, träume, obwohl er damit nicht einmal so Unrecht hat. Schließlich sind beide ja Träumer. Aber er hat damit nicht Recht, wenn er in der Konsequenz glaubt, er selber wäre nun der Realist. Jedenfalls kann ein Träumer, der glaubt, dass seine erträumte Wirklichkeit real ist, kein Realist sein. Denn er denkt ja, sein Traum sei kein Traum, was Verkehrung von wahren Tatsachen ist. Denn ein Traum ist keine Wirklichkeit. Wirklicher Realist ist eher derjenige, der erkennt, dass er träumt. Denn dessen Wirklichkeitsempfinden (Realismus) zielt immerhin darauf ab, sein Leben in einer Art  zu gestalten, dass es ihm möglich wird, aufzuwachen. Der andere (der vermeintliche Realist) wird nichts tun, um aufzuwachen, weshalb er eher als perfekter Träumer anzusehen ist. Letzterer ist dann kein wirklicher Realist sondern ein perfekter Illusionist, der halt glaubt, wirklicher Realist zu sein. Doch Glaube ist nicht Wissen und muss daher nicht notwendigerweise der Wahrheit entsprechen. So also kann jemand, den diese Welt als Illusionisten ansieht, durchaus ein Realist sein. Umgekehrt kann derjenige, der glaubt, Realist zu sein, durchaus ein Illusionist sein!!!

Wehe dieser Welt, wenn sie einmal erkennen muss, dass sie sich ja so sehr geirrt hat und dass sie ihren vermeintlichen Illusionisten Unrecht tat! Dann aber ist eher die Welt zu bedauern und nicht der vermeintliche Illusionist. Weil jener um die Situation Bescheid wusste, ließ er sich von der Welt nicht beirren und ist sein Weg zum Aufwachen gegangen. Die Welt aber, die den Illusionisten belächelt hat, hat sich mit ihrem Hochmut nur selber erniedrigt und hat letztlich nur unnötig Zeit mit Illusionen verplempert.

–> Gedanken zur Selbstreflexion